Der Pimokl Schulversuch in Baden-Württemberg

(Einsatz von Maple im Mathematikunterricht der Sekundarstufe II des
allgemeinbildenden Gymnasiums)

Rolf Reimer, Staatliches Seminar für Schulpädagogik (Gymnasien) Karlsruhe

 

Gliederung

1. CAS-Unterrichtsversuchen in Baden-Württemberg: Übersicht der Gymnasien

2. Der PIMOKL-Versuch (schriftliche Ausarbeitung der Folien zum Vortrag)

Randbedingungen und erste Erfahrungen
Wandel der Unterrichtsformen
Erfolgskontrollen
Schülermeinungen
Allgemeine didaktische Hinweise

3. Anhang (Dateien zum Herunterladen)

Stoffverteilungsplan
Zentrale Abituraufgabe im Leistungskurs
Maple-Arbeitsblätter: Funktionaler Aspekt von Gleichungen in Klasse 11

Fragen, Wünsche, Anregungen, Kritik an: Reimer@fh-karlsruhe.de

Ausführliche Informationen zum PIMOKL-Versuch (über das MKJS schuljährlich veröffentlichte Berichte und exemplarisch ausgewählte Aufgaben) können im Internet abgerufen werden unter der Adresse http://www.uni-karlsruhe.de/~za242/CAS.
Informationen über die Weiterführung des Schulversuchs im Bereich Tübingen / Reutlingen sind abrufbar unter
http://www.mathcom.de.

 

Randbedingungen und erste Erfahrungen
Seit dem Schuljahr 1996/97 findet in Baden-Württemberg ein Schulversuch zum Einsatz von Computer-Algebra-Systemen (CAS) am Gymnasien statt. Der Versuch sollte klären, wie sich der reguläre Mathematikunterricht in der Sekundarstufe II verändern wird, wenn jeder Schüler ein Mobilrechner (Notebook) mit einem CAS einsetzen kann. An vier Versuchsschulen wurden die Schüler einer 11. Klasse mit einem modernen Notebook ausgestattet. weitere Versuchsschulen kamen später hinzu. Die Schüler erhielten die Möglichkeit, sich nach Klasse 11 für einen herkömmlichen Mathematikkurs zu entscheiden, oder einen Leistungs- bzw. Grundkurs mit CAS zu wählen.

Von Anfang an waren die Schüler stark motiviert. In den Projektklassen herrschte eine lebendige, hilfsbereite Arbeitsatmosphäre, die sich wohltuend vom üblichen rezeptiven Verhalten in 11. Klassen abhob. Es gab aber auch Nachteile: Die Schüler empfanden den Mathematikunterricht als anspruchsvoller. Einzelne Schüler beklagten, dass ihnen in anderen Kursen, wo das CAS nicht zur Verfügung stand, manuelle mathematische Fähigkeiten fehlten.

Die Anforderungen an die Lehrer waren hoch. Die Einarbeitung in das Anwenderprogramm und die Unterrichtsvorbereitung waren zeitaufwendig. Darüber hinaus aber war eine neue Organisation des Lehrgangs und der Arbeitsmaterialien notwendig, die das selbständige Arbeiten der Schüler förderte. Dabei erweiterte sich die zentrale Rolle des Lehrers vom reinen Wissensvermittler hin zum Berater der Arbeitsgruppen im Unterricht. <zur Gliederung>

Wandel der Unterrichtsformen
Der Einsatz eines CAS beeinflusste die Unterrichtsform in Richtung selbständiger Arbeit. Durch die Arbeit in Gruppen wurde von Anfang an die Kommunikationsfähigkeit im Fachlichen verbessert; es wurde über Mathematik gesprochen. Die Schüler lernten schnell arbeitsteilig vorzugehen und halfen sich gegenseitig. Z. B. zeigte es sich bei der Präsentation von Lösungen im Unterricht und bei öffentlichen Auftritten, dass die Schüler nicht nur mathematische Sachverhalte verständlich vorstellen konnten, sondern mit den Möglichkeiten von Maple auch ausführliche schriftliche Dokumentationen der Problemlösung in den zugehörigen Arbeitsblättern anfertigten, wenn zur Vorbereitung genügend viel Zeit bereitgestellt wurde.
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Erfolgskontrollen
Klassenarbeiten wurden in der Regel zweiteilig angefertigt. Nach der Bearbeitung und Abgabe von herkömmlichen Aufgabenstellungen konnte im zweiten Teil der Rechner mit CAS verwendet werden.

In Klassenstufe 13 wurden in allen Leistungskursen Facharbeiten angefertigt, die eine Klassenarbeit ersetzten. Über einen längeren Zeitraum bearbeiteten Schülergruppen dabei ein Thema eigenständig und präsentierten ihre Ergebnisse. Dazu verwendeten sie neben Maple auch weitere Anwenderprogramme, erstellten z.B. Präsentationen mit Textverarbeitung und Power-Point und schrieben Programme in Delphi. Die Aufbereitungen der Themen zeigen individuelle Ansätze.

Die Facharbeiten lassen Fähigkeiten erkennen, die i.A. in einer Klausur mit begrenzter Zeit und zu einem im Unterricht behandelten Stoff nicht erfasst werden. Insgesamt ist das Ergebnis außerordentlich erfreulich und dokumentiert den Erfolg des Unterrichts mit dem Hilfsmittel CAS. Viele der Arbeiten wären in Umfang und Tiefe ohne den Einsatz von Maple gar nicht denkbar gewesen. Auch die Schüler sahen die Sache ähnlich, wiesen jedoch auf den weit überproportionalen Zeitaufwand hin. Dies galt natürlich auch für die Lehrer.

Zur Vorbereitung des schriftlichen Abiturs reichte jeder Kollege drei Aufgabenvorschläge ein. Dabei sollte die einzelnen Aufgaben mehrere behandelte Teilgebiete abdecken. Die pädagogische Begleitgruppe erstellte anhand der Vorlagen für Grund- und Leistungskurs jeweils eine zentrale Abituraufgabe. Als zweite, lokale Aufgabe wurde eine Aufgabe unverändert übernommen.

Die Schüler konnten während des Abiturs (wie auch sonst in Klassenarbeiten üblich) ihre gesamten Aufzeichnungen aller Schuljahre verwenden. Weil die Kollegen, eine einheitliche Bearbeitungsebene gewünscht hatten, wurde für die Bearbeitung der zentralen Aufgabe ein Katalog von erlaubten Maple-Befehlen erstellt.

Lernerfolg Der Einsatz des CAS brachte vor allem leistungsstarken und fachlich motivierten Schülern Vorteile. Die leistungsstarken Schüler waren durch den Einsatz von Maple zunehmend entlastet und präsentierten Arbeiten, die hinsichtlich Dokumentation, Befehlseinsatz und Grafiken ansprechend gestaltet waren. Die leistungsschwachen Schüler waren dagegen zu sehr an inhaltliche Probleme gebunden und hatten dadurch für das Werkzeug Maple weniger Kapazitäten frei. Bei ihnen war es zunehmend schwieriger, sie zu motivieren und vor Resignation zu bewahren. Unabhängig von der Kurswahl empfanden die Schüler, dass ihre Rechenfertigkeit stark nachgelassen habe. Insbesondere in Verbindung mit dem Fach Physik, das mathematische Rechenfertigkeiten erfordert, fühlten sich vereinzelt Schüler benachteiligt, da sie dort das CAS nicht einsetzten durften. Die Wertung dieser Empfindung korrelierte allerdings stark mit den Leistungen. Bei schwachen Schülern trat diese häufiger auf, als bei guten Schülern. Von diesen wurde oft angegeben, dass sie durch die Teilnahme am Versuch einen persönlichen Gewinn hatten.

Bei der Bewertung des Lernerfolges muss berücksichtigt werden, dass über den reinen Mathematikstoff hinaus nichtfachliche Lernprozesse stattgefunden haben. Dazu gehört u.A. der Umgang mit dem Rechner, der Kenntnisse aus dem Bereich der Informatik vermittelt hat, die Formulierung mathematischer Probleme in der Syntax eines CAS, die aktive Nutzung eines Anwenderprogramms mit fremdsprachlicher Hilfestellung und die Nutzung weiterer Programme zur Text- und Bildverarbeitung sowie zur Präsentation bei Vorträgen.

Das häufige Arbeiten in Gruppen und die Aktivitäten bei Vorträgen haben das Sozialverhalten und die Kommunikationsfähigkeit aller Schüler weiterentwickelt. <zur Gliederung>

Schülermeinungen
Das Gefühl, stärker als in anderen Fächern gefordert zu sein, hatten alle Schüler. Die relativ kleinen Kursstärken erforderten vom Einzelnen verstärkte Aufmerksamkeit. Hinzu kam der Umgang mit dem neuen Werkzeug Maple und den anfangs ungewohnten neuen Unterrichtsformen.

Nach der Schülerbefragung am Ende der Klasse 11 hätten sich alle Schüler erneut für den Versuch mit einem CAS entschieden. Die neuen Unterrichtsformen, verbunden mit selbständigem Lernen und kooperativen Lernformen, wurden von allen positiv bewertet. Allerdings wollte niemand auf den herkömmlichen, lehrerzentrierten Unterricht verzichten. Insgesamt wurde zur Einführung von neuen Inhalten der Lehrervortrag höher eingeschätzt als das selbständige Erarbeiten neuer Inhalte mittels Arbeitsblättern. <zur Gliederung>


Allgemeine didaktische Hinweise
Mathematische Begriffe und Verfahren sollten zunächst ohne Rechner an einfachen aber typischen Problemstellungen eingeführt werden, wobei die zugehörigen Grundvorstellungen und entsprechenden Vernetzungen mit anderen Inhalten angesprochen werden. Dazu sollten unbedingt klassische Medien (Papier, Tafel usw.) herangezogen und die herkömmliche mathematische Schreibweise verwendet werden. Dies schließt nicht aus, dass zu Vorüberlegungen in einer experimentellen oder heuristischen Phase das CAS zur Visualisierung eines Sachverhaltes oder zur Gewinnung von Datenmaterial mitverwendet wird.

Mit Hilfe eines vorbereiteten oder exemplarisch im Unterricht erarbeiteten Arbeitsblattes kann die Lösung einer umfangreichen Problemstellung (z. B. einer Kurvendiskussion) für eine ganze Problemklasse über die Variation eines Terms und einen Mausklick erfolgen. Dieses Beispiel macht sehr deutlich, dass die standardisierte Behandlung von Kurvenuntersuchungen im bisherigen Stil schwer zu rechtfertigen ist, wenn ein CAS zur Verfügung steht.

Der Einsatz des CAS ermöglicht andererseits in Arbeitsblättern die schnelle Variation von Parametern und kann erfolgreich zur Interpretation der Auswirkungen in innermathematischem oder praktischen Bezug eingesetzt werden.

Das CAS ermöglicht es Schülern, offenere Aufgabenstellungen zu bearbeiten, die zu individuellen Lösungswegen führen und Kreativität fördern. Ihre Bearbeitung sollte durch einen bewusst in Gang gesetzten und im Unterricht thematisierten Problemlöseprozess erfolgen, bei dem in der Regel eine mathematische Modellierung benötigt wird. Dabei ist wesentlich, dass die Arbeit nicht ausschließlich auf der mathematischen Seite abläuft. Es müssen die Modellierungstätigkeiten zur Erstellung des Modells, die Interpretation des Ergebnisses einschließlich der Modellkritik und Validierung des gesamten Vorgehens angesprochen werden. <zur Gliederung>

Methodische Hinweise
An den Versuchsschulen hat es sich als vorteilhaft erwiesen und war von den Schülern gewünscht, grundlegende Inhalte lehrerzentriert zu unterrichten. Dahingegen sollten Übungen und Problemstellungen, die über Anwendungen des Gelernten zu bewältigen sind, unbedingt in Unterichtsformen überführt werden, die selbständiges Arbeiten fördern. Es ist vor allem darauf zu achten, dass der Befehlssatz des verwendeten CAS auf ein Minimum zu beschränken ist und ein Vorratslernen an Befehlen vermieden wird. Die Hilfestellung des Systems sollte von Anfang an genutzt werden.
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Anhang <zur Gliederung>

Stoffverteilungsplan
Auf der Grundlage der Erfahrungen an den Versuchsschulen wurde ein Stoffverteilungsplan für den Unterricht mit einem CAS in Klasse 11 bis 13 erstellt, der den Versuchsschulen als Orientierung dienen soll. (Das Rich-Text-Dokument
LpGyMa_Entwurf.rtf kann heruntergeladen werden.) <zur Gliederung>

Zentrale Abituraufgabe im Leistungskurs (Herunterladen der WORD-Datei:
ABI_Lk.doc)

Maple-Arbeitsblätter: Funktionaler Aspekt von Gleichungen in Klasse 11
Wenn eine Gleichung nach einer Variablen aufgelöst werden kann ist eine funktionale Interpretation möglich. In Verbindung mit den Visualisierungsmöglichkeiten eines CAS können schon zu Beginn der Klasse 11 lineare Gleichungen mit 2 bzw. 3 Lösungsvariablen als Funktionen mit einer oder zwei Variablen aufgefasst und ihre Schaubilder als Geraden bzw. Ebenen interpretiert werden. Hier ist eine frühe Vernetzung von Analysis und analytischer Geometrie möglich und wünschenswert.
Die
selbstentpackende Datei "FunGlei.exe" enthält Maple-Vorlagen, für den Einsatz in Klasse 11. Nach einer Wiederholung linearer Gleichungen und Gleichungssyteme mit 2 Lösungsvariablen und der Interpretation als Gerade(n) werden analog Gleichungen und Gleichungssysteme mit 3 Variablen betrachtet, die als Ebenen gedeutet werden können. (Die Blätter enthalten keine Arbeitsaufträge.) <zur Gliederung>